13. Oktober 2014

Kirgistan Teil 1 / Tag 139 - 159 / Wo die wilden Pferde wohnen

Liebe Mitreisende, zu allererst möchten wir uns bei Euch für die Vielzahl an Hilfs-Angeboten bezüglich der Übersetzung bedanken! Es ist toll zu sehen wie viele Menschen uns unterstützen und auf einen Hilfeaufruf reagieren! Wir haben wahrscheinlich schon ein Lösung gefunden und hoffen dass der Brief vom Anwalt die Spedition einschüchtert. Wir halten euch auch dies bezüglich auf dem Laufenden! 

Lang, lang ist’s her dass ihr etwas über Knut’s Abenteuern lesen konntet, ich weiß… 
Es ist einfach ständig was los und zugegebenermaßen sind wir obendrein auch ein klein bisschen faul geworden… 
Aber das Warten hat sich gelohnt! Jetzt, heute und hier gibt es endlich wieder Nachschub aus unserem Reisetagebuch, viel Spaß beim Lesen und Staunen. 


Ihr könnt euch sicher noch daran erinnern dass wir in Kirgistan erst mal in der Werkstatt campierten, um die Folgen des unglücklichen Auffahr-Unfalls reparieren zu lassen. Das ganze dauerte ziemlich lang, aber nach zehn Tagen können wir die Werkstatt endlich wieder verlassen und uns auf den Weg an den berühmten Bergsee „Issy Kul" machen. 
Der Kühler wurde zwar nur provisorisch geflickt und die Motorhaube musste noch poliert werden, aber Knut ist endlich wieder fahrtüchtig und heilfroh nicht mehr still zu stehen.



Den ersten Tag am See verbringen wir an einem Kite-Surfing-Strand, wo wir ein paar mutigen Draufgängern dabei zuschauen können wie sich bei frostigen Wassertemperaturen und schneidendem Wind an ihre Drachen hängen. Leider tummeln sich hier nicht nur Sportler sondern auch Millionen von kleinen, fiesen Mücken, die uns bei Dämmerung dazu zwingen Knut hermetisch abzuriegeln und den Sonnenaufgang durch’s Fenster zu betrachten. 

Vertrieben von den Blutsaugern finden wir Tags darauf einen noch viel schöneren Platz, einige Kilometer ostwärts. In der kleinen versteckten Bucht sind wir allerdings nicht die einzigen: zum ersten mal auf unserer Reise treffen wir auf einheimische Camper.


Die lustige russich-stämmige Familie aus Bishkek mit dem gelben VW-Bus hat sich schon häuslich am Strand eingerichtet. Mitsamt Wohnzimmer-Garnitur, Sonnensegel, Wodka Vorrat für eine kleine Armee und einem plärrenden Taschenradio das unermüdlich russische Partykracher und leiernde Elvis-Schlager zum Besten gibt. Bis spät in die Nacht hinein wird gesungen, getrunken und zum Radio gewankt - feiern können sie wirklich gut die Russen. 



Bevor wir uns am nächsten Morgen wieder aus dem Staub machen, darf Danny noch ein paar Schießübungen mit dem Luftgewehr der Russen machen. Sie sind recht beeindruckt von seinen Schießkünsten - hat er auf der Wiesn ja auch fleißig geübt. 



Unser nächstes Ziel ist der „Song Kul" - ein 3000m hoch gelegener Bergsee, einige Kilometer weiter südlich. In den Sommermonaten leben hier viele Nomadenfamilien in Jurten-Dörfern und kümmern sich um ihre Pferde, Ziegen und Schafe, genau so wie vor hunderten Jahren. 



Der Weg dorthin ist die reinste Qual für uns und Knut’s Stoßdämpfer. Es geht 50km über Waschbrett-Piste den Berg hinauf, schneller als Schrittgeschwindigkeit kommen wir nicht voran. Als es bereits anfängt zu dämmern biegen wir links ab und stellen Knut am Fluss ab, den See werden wir wohl erst morgen zu Gesicht bekommen. 


Doch allein schon die sattgrüne Flussebene war die beschwerliche Reise wert. Wo man hinschaut grasen Kühe und Pferde, im Hintergrund erstrecken sich goldglänzende Berge und bis auf ein paar Cowboys sind wir vollkommen alleine. Genau so haben wir uns Kirgistan vorgestellt!



Nach einer kalten Nacht und einem ausgiebigen Frühstück im Knie-hohen Gras rattern wir die letzten Kilometer den steilen Hang hinauf. 




Am See angekommen staunen wir nicht schlecht als wir uns einer Jurten-Siedlung nähern: doch nicht wegen der Hütten oder der vielen Pferde - sondern wegen einem riesengroßen gelben Truck der am Rande des Dorfes steht und ganz offensichtlich kein einheimisches Vehikel ist. 


Mit diesem Monster-Truck ist eine Gruppe Overland-Touristen auf dem Weg von Peking nach Istanbul. Die Crew die wir antreffen ist gerade damit beschäftigt das Mittagessen vorzubereiten und lädt uns prompt ein ihnen Gesellschaft zu leisten - gutes Timing würde ich sagen!
Der Truck kann bis zu 28 Mann durch die Gegend kutschieren, doch momentan besteht die Besatzung aus gerade mal 8 Reisendenden und den zwei Tour-Guides Grace und Malcom. 
Die meisten Teilnehmer haben nur eine Teilstrecke der Peking-Istanbul Route gebucht, dafür steigen in ein paar Tagen wieder neue Gäste ein. Geschlafen wird in dem Truck allerdings nicht: entweder die Gruppe schlägt ein Zeltlager auf, kommt in Hotels unter oder wie in diesem Fall in  ein paar Jurten. Für uns wäre diese Art des organisierten Gruppen-Abenteuers nichts, aber prinzipiell ist es doch eine tolle Alternative zu Pauschalreisen. 



Abends werden wir gleich wieder zum Essen eingeladen und bekommen das beste Hühnchen serviert dass wir seit langem gegessen haben: Malcoms famous beer-canned-chicken: Man nehme ein ganzes Huhn, massiert es hingebungsvoll mit Salz, Pfeffer und Gewürzen, steckt ihm eine volle, geöffnete Bierdose in den Hintern und setzt es anschließend in einen Topf. Dann darf das Hühnchen zwei Stunden lang über dem Feuer im Bierdampf schwitzen. Schmeckt himmlisch! (Kann man übrigens auch im Backofen machen). Als Nachspeise steuere ich einen Schokoladenkuchen bei, den ich in unserem super praktischen Camping-Ofen backe. Ein echtes Gourmet-Menü in der kirgisischen Hochebene; so lässt sich’s leben… 


Die kommenden zwei Tage genießen wir es sehr mit Menschen aus aller Herren Länder zu quatschen. So viele Touristen wie hier auf 3000m Höhe haben wir auf unserer ganzen Reise bis jetzt nicht getroffen.


Grace und Malcom erzählen uns von ihren Abenteuern als Reiseleiter. Seit über sechs Jahren arbeiten die beiden schon für die Overland-Company und waren hauptsächlich in Afrika unterwegs. Mit Reisen Geld verdienen - das klingt für viele erst mal nach dem absoluten Traumjob… Für eine gewisse Zeit ist es das wahrscheinlich auch, doch für die beiden sollte das die letzte „Geschäftsreise“ sein. Sie sehnen sich nach einem richtigen Zuhause, einem festen Freundeskreis und einem Minimum an Komfort. Schon nach sechs Monaten unterwegs können wir das gut nachvollziehen. 

Außerdem treffen wir Nadine aus Berlin, die eine ganz besonders enge Verbindung zu Kirgistan und dem Leben am Song-Kul hat. Zum wiederholten mal wohnt sie mehrere Wochen hier oben bei einer Nomadenfamilie, hilft mit dem Vieh und versorgt die Touristen die hier übernachten. Letztes Jahr hat sie den ganzen Sommer mit der Familie verbracht um einen Dokumentar-Film über das traditionell kirgisische Nomaden-Leben zu drehen. Wir fühlen uns sehr geehrt als sie uns die erste Szene vorspielt und Danny um seine professionelle Kritik bittet. Wir sind schon sehr gespannt wie der fertige Film aussehen wird und wünschen ihr alles Gute beim Schnitt! 


Am Nachmittag des zweiten Tages wird uns etwas ganz besonderes dargeboten: Kirgisischer Nationalsport, namens „Kok-Boru“ oder einfach Ziegenpolo. 
Dazu wird eine Ziege geschlachtet und Kopf und Beine vom Körper getrennt. 
So entsteht der „Ball“ um den sich dann zwei Teams regelrecht kloppen. 
Gespielt wird auf einem freuen Feld, ohne Begrenzungslinien, Schiedsrichter oder anderen einschränkenden Maßnahmen. 


Zu Beginn des Spiels wird der „Ball“ auf einem kleinen Teppich platziert, der gleichzeitig das Tor markiert. Die Reiter müssen die Ziege vom Pferd aus schnappen und klemmen sich den Kadaver dann unter ihr Bein, um es so gut wie möglich vom gegnerischen Zugriff zu schützen, die versuchen die Ziege in ihren Besitz zu bringen. Alle Techniken sind dabei erlaubt.


Ziel des Spiels ist es die Ziege möglichst oft zurück auf den Teppich zu legen, wer am Ende die meisten Tore erzielt hat gewinnt. 
Wir sind fasziniert, wie man aus Pferden und Ziegen ein Spiel machen kann. Nicht etwa, weil wir auf morbide Spiele stehen. Nein, hier oben gibt es nichts anderes als Ziegen und Pferde....


Nach dem Spiel wir die Ziege dann gekocht. Angeblich schmeckt das Fleisch vorzüglich weil es so gut „massiert“ wurde. Leider bekommen wir nichts ab vom Festschmaus, aber das Spiel aus nächster Nähe zu betrachten ist schon beeindruckend genug. 


Die Stimmung hier oben am See ist einzigartig schön. Stundenlang sitzen wir in der  Steppe und schauen in die schier endlosen Weiten. Dabei beobachten wir die Pferde die ebenfalls regungslos vor sich hin glotzen. Das Abendlicht wirft magisch lange Schatten und die Zeit scheint fast still zu stehen. 



Sobald die Sonne untergeht ist es als ob jemand die die Heizung abdreht, innerhalb weniger Minuten fällt das Thermometer auf frostige 5°C. Wir sind froh dass wir unsere Standheizung in der Nacht aufdrehen können. 


Am dritten Tag heißt es Abschied nehmen von all den netten Menschen die wir hier kennenlernen durften. Die Truck-Crew macht sich auf den Weg nach Süden, Nadine bleibt noch ein paar Tage bei ihrer Nomaden-Familie und wir wollen nach Kochkor um einen Teppich für das Warme-Füße-Gefühl im Knut zu ersteigern. In einem kleinen hübschen Laden werden wir auch gleich fündig und haben seitdem zwei traditionell kirgisische Woll-Teppiche im Bus die gute Dienste leisten. 


Auf dem Bazar stocken wir unsere Vorräte auf, bevor wir uns wieder auf den Weg in die Pampas machen. Diesmal folgen wir einem Tip von Nadine und fahren in’s „Shamshy-Valley“. Ein lang gezogenes Tal nördlich von Kochkor, in das sich eher selten Touristen verirren. Das zumindest lesen wir von den staunenden Gesichtern am Wegrand ab die uns ungläubig hinterher starren.  



Direkt am Fluss finden wir einen idealen Stellplatz, inklusive Feuerholz, Badestelle und Wanderpfad. Perfekt um zwei gemütliche Tage in trauter Zweisamkeit zu verbringen. 


Nur einmal bekommen wir Besuch von einem Bauern auf seinem Esel, der uns einen Eselritt verkaufen möchte - für unverschämte 50€ pro Person. Man kann’s ja mal versuchen… Esel-Poing war dafür umsonst. 


Leider müssen wir uns allmählich schon wieder von der prächtigen Natur-Idylle verabschieden und zurück nach Bishkek fahren. Dort haben wir noch das Werkstatt-Date und müssen uns um ein paar Visa für die Weiterreise kümmern. 
Wir entscheiden uns für einen etwas längeren, dafür abwechslungsreicheren Weg zurück in die Stadt. Auf der Straßenkarte ist die Route unter der Kategorie „Highway“ zu finden… 


Hoch hinaus führt der Weg auf jeden Fall und wir kommen über den höchsten Pass bis dato wo wir Brotzeit auf dem windigen 3600m hohen Gipfel machen. Die Qualität des „High-Ways“ lässt allerdings absolut zu wünschen übrig. Nach den ersten 70km endet der Asphalt und wir schleichen die nächsten 200km im Schneckentempo über holprige Sandpisten dahin. 



Dafür ist die Landschaft tatsächlich abwechslungsreich und wunderschön. Wir fahren durch tiefe Schluchten, über gelbe Hochebenen und an knallroten Canyons vorbei. 


Als uns klar wird dass wir Bishkek heute nicht mehr erreichen werden, parken wir Knut an einem Fluss und treffen dort auf zwei französische Radreisende die gerade mit einer kirgisischen Familie am Ufer picknicken. 


Die Franzosen haben ihre Zelte bereits aufgeschlagen und wollen wie wir am nächsten Morgen weiter in die Hauptstadt. Wir bieten ihnen eine Mitfahrgelegenheit an, doch weil sie echte Radler sind wollen sie die gesamte Strecke aus eigener Kraft zurück legen - was für Kerle.


Die Kirgisen machen sich kurz darauf aus dem Staub, der Vodka ist leer und die Männer müssen in’s Bett gebracht werde. Dafür gesellen sich noch 3 Russen zu uns, die ihre Angeln auspacken und zu verstehen geben dass es heute Abend Fisch für alle gibt.  
Zum zweiten mal innerhalb weniger Tage bekommen wir ein wahres Gourmet-Camping-Gericht vorgesetzt: kleine, fangfrische Forellen, gekocht in Zwiebel-Kartoffel-Sud. Dazu frisches Brot, Krabbenfleisch, Salat und natürlich Wodka im Überfluss. Es wird ein lustiger Abend mit dieser zusammengewürfelten internationalen Truppe. In einem Kauderwelsch aus Französisch-Deutsch-Russisch-Englisch unterhalten wir uns prächtig und stoßen viele male auf unser Treffen an.  


Vielleicht hängt der Schnaps den Radlern in der Früh noch in den Knochen, vielleicht hängen ihnen aber auch die dunklen Wolken zu tief am Himmel; auf jeden Fall erkundigen sie sich ob das Angebot der Mitfahrgelegenheit noch immer gültig sei. Wir haben ja schon Übung darin französische Fahrräder auf Knut’s Dach zu schnallen und im Handumdrehen sitzen wir mal wieder zu viert im Auto und rütteln weiter in Richtung Norden. 


Für die letzten 260km brauchen wir den ganzen Tag. Die Straße ist erst auf den letzten 100km wieder asphaltiert.


Endlich in der Stadt angekommen lassen wir unsere Passagiere im Zentrum aussteigen und machen uns auf den Weg zu unserem „Bi-Star-Mercedes Campingplatz“. 

Wir wollen nur den reparierten Kühler gegen einen neuen austauschen und die Motorhaube polieren lassen. Das sollte ja an einem Tag zu schaffen sein. Danach wollen wir wieder zum Issy-Kul fahren, wo die „First International Nomad-Games“ stattfinden. Fünf Tage werden dort Wettkämpfe im Ziegen-Polo, Ringen und anderen traditionellen Spielen abgehalten. Zum Beispiel gibt es einen Wettstreit zwischen Mann und Frau der folgendermaßen funktioniert: Erst versucht der Mann die Frau auf dem Pferd einzufangen und ihr einen Kuss auf die Backe zu drücken. Wenn ihm das in einer vorgegeben Zeit nicht gelingt, darf sie ihn danach mit der Peitsche jagen und solange auf ihn eindreschen bis die Zeit abgelaufen ist. Klingt doch nach einem großartigen Spektakel! Man darf gespannt sein…

*** Fortsetzung folgt ***

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen