Die Grenze zu Georgien ist eine echte Wohltat nach all den nervenaufreibenden Grenzübertritten der letzten Monate: einfach hinfahren, Pass aushändigen, Stempel rein und weiter geht’s! Keine 15 Minuten dauert die Prozedur. Wir müssen keine Formulare ausfüllen, nirgendwo Schlange stehen, keine Einfuhr- / Aufenthalts- / Transit- oder sonst-was Gebühren bezahlen; keiner schreit uns an und wir müssen auch niemandem damit drohen den Konsul anzurufen… Europa, wir kommen!
Aber ganz so schnell muss es nun auch nicht gehen! Nun gilt es erst mal Georgien genauer unter die Lupe zu nehmen. Erster Halt: Tiflis.
Knut wird auf einem Parkplatz mitten in der Altstadt geparkt, wo wir die nächsten Tage völlig ungestört campieren können. Das sollte man mal in München Schwabing versuchen, ich bin mir sicher dass es keinen Tag dauern würde bis die Polizei an’s Fenster klopft.
Tiflis, was für eine großartige Stadt! Gleich auf den ersten Metern verlieben wir uns in die wunderschöne, kunterbunte Altstadt. Zwischen liebevoll renovierten Häusern mit den filigranen Holzbalkonen im Pippi-Langstrumpf-Look, warten schiefe ächzende Ruinen darauf errettet zu werden.
Überall stoßen wir auf wundervolle Cafés und kleine Weinstuben, die zwischen zahllosen Galerien, Designerlädchen und historischen Kirchen auftauchen. Immer wieder steigt uns der herrliche Duft von frisch gebackenem Brot in die Nase, dass noch ganz traditionell in unterirdischen Backstuben gebacken wird und durch kleine Kellerfenster verkauft wird.
Die Straßenmusiker hier rocken und Rappen zu Gitarren-Sounds und Hip-Hop Beats die bei uns schon in den 90er Jahren irgendwie schon oldschool waren. Ein amerikanische Aushilfskellner bringt es gut auf den Punkt als er meint „this city is like a time-machine“.
Ein besonders gruseliges Highlight ist das horror-labyrinth in das mich Danny trotz Protest schleift. Es handelt sich dabei um eine Art „analoge Geisterbahn“, ganz ohne Wagen oder Schienen. Wir müssen zu Fuß durch ein stockdunkles Labyrinth irren, geleitet durch das sporadisch aufflackernde Licht, in dem abwechselnd Zombies, Geister und Kettensägen-Mörder auftauchen. Das Fiese ist dass die Schreckgespenster hier alle ganz „lebendig“ sind und uns auch mal aus dem Hinterhalt an den Haaren ziehen oder in die Wade zwicken. Da entfährt selbst dem abgehärteten Reisenden hin und wieder ein spitzer Schrei… Wir sind heilfroh als wir den Ausgang finden und sich die Zombies in Menschen mit lächerlichen Kostümen verwandeln.
Ein weitaus weniger erschreckendes, dafür kulturell viel wertvolleres Programm ist der Besuch des weltberühmten Marionetten Theater. Schon allein der bunte Glockenturm vor dem Theater scheint wie aus einem Märchen. Puppen-Spieler haben in Georgien eine lange Tradition und nach der Aufführung verstehen wir auch warum. Es ist absolut fantastisch wie die kleinen Holz-Figuren zum Leben erweckt werden und uns in ihren Bann ziehen.
Wie überall auf unserer Reise zieht Knut auch in Tiflis einige Besucher an. Besonders zuvorkommend und außergewöhnlich freundlich ist Georgi; ein netter kleiner Mann der gleich neben dem Parkplatz in einem der hilfsbedürftigeren Gebäude wohnt. Gleich am ersten Abend erkundigt er sich ob wir Hilfe benötigen oder tatsächlich freiwillig auf dem Parkplatz in einem Auto schlafen. Wir versichern ihm dass wir ohne Not aus freien Stücken, ja sogar mit Freude im Bus nächtigen - und das schon seit sieben Monaten. Dieser Umstand beschäftigt ihn scheinbar nachhaltig, denn tags darauf bringt er uns Brot vorbei und bietet uns an seine Dusche zu benutzen.
Damit aber noch lange nicht genug! Als wir abends bei ihm Kaffe trinken werden wir erst mal reichlich mit Trauben, Äpfeln, Quitten und Birnen eingedeckt. Alles aus eigenem Anbau und natürlich super lecker. Wir unterhalten uns so gut es geht auf Zeichensprache und erzählen ihm dass wir zum Bazar der Stadt wollen um ein paar neue T-Shirts für Danny zu kaufen. Seine alten sind nach der langen Reise fast alle löchrig und verblichen. Entsetzt erklärt Georgi dass der Bazar völlig überteuert sei und verschwindet in’s Haus. Als er zurück kommt drückt er Danny eine Hose, ein Sakko und ein passendes Hemd in die Hand - keine Widerrede, er möchte uns armen Reisenden unbedingt etwas gutes tun. Für mich habe seine Frau sicher auch noch ein paar Klamotten übrig wenn ich wolle…
Ein weiteres mal sind wir von der selbstlosen Gastfreundschaft die uns entgegen gebracht wird mehr als nur beeindruckt; da teilt dieser nette Mensch mit uns sprichwörtlich sein letztes Hemd, wo er ganz offensichtlich selber auf jeden Penny angewiesen ist.
Die Stadt selber gefällt uns von Tag zu Tag besser. Es gibt so viel zu entdecken und zu erleben dass wir uns gar nicht mehr so richtig trennen wollen. Doch allmählich wird es immer kälter und die Nächte im Bus zunehmend unangenehm. Letztendlich zwingt uns also das Wetter Tiflis wieder zu verlassen und den Weg Richtung Westen fortzusetzen.
Zum Abschied besuchen wir noch eines der geschichtsträchtigen Schwefelbäder. Anders als im türkischen Hammam mietet man sich hier in eine private Badekammer ein, in der man völlig ungestört und entspannt im 45°C heißen Wasser planschen kann.
Zumindest solange keine frechen Kinder auf die Kuppeln der Badehäuser klettern und durch die kleinen Fenster in die Badekammer luren ;-)
Frisch gebadet und entspannt setzen wir nach einer guten Woche den Weg Richtung Heimat fort. Kurz vor der Stadt Gori (die vielen noch wegen dem blutigen Konflikt zwischen Georgien und Russland im Gedächtnis sein könnte) besichtigen wir die Höhlenstadt Uplistsiche. Zu ihrer Blütezeit haben hier mehr als 20.000 Menschen gelebt. Fällt schwer sich das anhand der erhaltenen Höhlen vorzustellen. Schön sind die Höhlensysteme auf dem Hügel allemal!
In Gori gibt’s zum Mittagessen eine ganz besondere Spezialität: Chinkali. Das sind mit Fleisch gefüllte Teigtaschen, die frisch dampfend auf den Tisch kommen. Angeblich schmecken sie nirgendwo besser als in Gori. Wir haben auf jeden Fall noch nie so leckere Fleisch-Täschchen gegessen!
Voll bis obenhin kugeln wir uns in die einzige Sehenswürdigkeit der Stadt: in’s Stalin Museum. Was wir nämlich auch nicht wussten, ist dass der große sowjetische Staatsmann ein Kind Georgiens war.
Das majestätische Museum ist eine Mischung aus Aufarbeitung von Stalins Werdegang und Ruhmeshalle. Leider sind alle Erklärungen und Bildunterschriften sind auf Georgisch und Russisch - wir begnügen uns also damit uns Stalins Lebensgeschichte selber zusammen zu reimen.
Nach soviel Stadt, Kultur und Geschichte zieht es uns mal wieder in die Berge. Wir beschließen den längeren, unbequemen Weg bis zum schwarzen Meer zu nehmen. Dieser führt bergauf und bergab durch den wunderschönen Süden des Landes.
Überall findet man Klöster, Kirchen und Burgen, versteckt im Wald oder herrschaftlich thronend auf steilen Hügeln.
Am höchsten Punkt der Passstraße taucht wie aus dem nichts ein Geisterdorf auf. Gute zwei Stunden von der nächsten Siedlung entfernt leben die Bauern hier im Sommer mit ihrem Vieh. Jetzt im November sind alle Türen und Fenster verrammelt; kein Mensch zu sehen, keine Kuhglocke zu hören, nicht mal ein verirrtes Schaf blökt irgendwo vor sich hin. Nebelschwaden ziehen vom Tal herauf, Jagdvögel kreisen über unseren Köpfen… wirklich gespenstisch.
Wir quälen Knut die holprige, steile Straße in’s Tal hinunter. Die Piste ist in so miserablen Zustand dass es schwierig wird den Schlaglöchern auszuweichen. Der arme Knut holpert nur so den Berg hinunter und fängt auf einmal an sich hörbar zu beschweren: bei jedem Schlagloch durch das wir müssen ist ein fieses, metallisches Klacken zu hören das uns Gänsehaut bereitet. Hoffentlich ist die Aufhängung der Federung nicht schon wieder gebrochen!? Nach Danny’s professioneller Sichtkontrolle scheint dies glücklicherweise ausgeschlossen zu sein. Eigentlich bleibt uns sowieso nichts anderes übrig als bis in’s nächste größere Dorf zu fahren. Dort finden wir auch tatsächlich eine Werkstatt, aber als der Mechaniker uns und unser Auto sieht winkt er sofort ab und gibt uns zu verstehen dass er mit so einem Ungetüm nichts zu tun haben will.
So behutsam wie möglich fahren wir weiter bis wir am Schwarzen Meer, genauer gesagt in Batumi ankommen. Heute ist es schon zu spät für einen Werkstattbesuch, aber morgen wird sich bestimmt ein Mechaniker finden, der dem Knack-Geräusch auf die Schliche kommen wird.
Als wir im größten Urlaubsparadies Georgiens ankommen ist es bereits stockdunkel, windig, saukalt und es schüttet wie aus Kübeln. Die Bürgersteige sind hoch geklappt und die meisten Lokale verrammelt. Ist vielleicht auch nicht ganz die richtige Jahreszeit für einen Ausflug an die bekannte Strandpromenade. Nach einem schnellen Abendessen im türkischen Imbiss verziehen wir uns in die trockene Koje und lassen uns vom Regen in den Schlaf trommeln.
Am nächsten Morgen werden wir von Paukenschlägen und orkanartigen Böen geweckt die den Knut hin und her schütteln. Das Wetter lädt wirklich nicht dazu ein den Badeort näher zu erkunden. Nur noch schnell in eine Werkstatt und dann ab Richtung Türkei.
Doch die georgische Arbeitsmoral - zumindest die von georgischen Mechanikern - ist irgendwie speziell. In keiner der drei angesteuerten Werkstätten ist man bereit uns zu helfen; es wird nicht mal ein Blick unters Auto geworfen… Mag natürlich auch am miesen Wetter liegen, da verlässt niemand gerne die warme Stube.
Gut dass die türkischen Grenze nur wenige Kilometer entfernt ist. In der Türkei kennen wir uns mit Werkstätten schon bestens aus: da sind die Mechaniker immer freundlich, schmeißen sich sofort voller Elan unter die Karre und bieten uns nebenbei auch noch ein Gläschen Tee an. Na dann, worauf warten wir noch: Turkey here we come!